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FAQ: Schadstoffe in Lollitests

FAQ: Schadstoffe in Lollitests

Zu den veröffentlichten Laboruntersuchungen (hier und hier) der „Lolli“-Abstrichtupfern gibt es grundsätzliche Fragen, die im Folgenden beantwortet werden.

Sind die Mengen/Konzentrationen der Stoffe nicht viel zu gering, um schädlich zu sein?

Nein. In der Wissenschaft wird bereits für Erwachsene auch die Low-Dose-Theorie diskutiert, z. B. im Zusammenhang mit Bisphenol A oder endokrinen Disruptoren. Low-Dose könnte nicht zuletzt bei hormonaktiven Substanzen eine maßgebliche Rolle spielen. (https://www.efsa.europa.eu/de/events/event/120614, https://www.efsa.europa.eu/de/news/have-your-say-draft-opinion-non-monotonic-dose-response)

 

Grundsätzlich stellt sich auch die Frage, ab wann ein CMR-Stoff (canzerogen, mutagen, reproduktionstoxisch) bzw. ein Allergen seine Wirkung entfaltet. Denn die Konzentration, ab der eine Wirkung im menschlichen Organismus nachweisbar ist, stellt keine Konstante dar. Vielmehr kommt es auf die Gesamtkonstitution der einzelnen Person sowie auf deren vorausgegangene Exposition (Präexposition) an.

 

Einige der für die „Lolli“-Abstrichtupfer gefundenen Stoffe sind bereits bei einmaliger Exposition mit einer hohen CMR-Wirkung behaftet. Hinzu kommt ein kumulativer Effekt durch die dauerhaften, wiederholten Testungen und ein sich dadurch erhöhender cancerogener, mutagener und reproduktionstoxischer Effekt im Organismus.

Gibt es strengere Anforderungen für Kinder?

Ja. Bereits in der für die „Lolli“-Abstrichtupfer gültigen RICHTLINIE 93/42/EWG heißt es in ANHANG I, GRUNDLEGENDE ANFORDERUNGEN, 7.5.

 

„Umfasst die Zweckbestimmung dieser Produkte die Behandlung von Kindern oder von schwangeren oder stillenden Frauen, so muss der Hersteller eine spezielle Begründung für die Verwendung dieser Stoffe [die krebserregend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend sein können, Anmerkung] im Hinblick auf die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen, insbesondere dieses Absatzes, in die technische Dokumentation aufnehmen und in die Gebrauchsanweisung Informationen über Restrisiken für diese Patientengruppen und gegebenenfalls über angemessene Vorsichtsmaßnahmen aufnehmen.“

 

Das ist nicht erfolgt.

 

Angesichts von Aussagen des Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) über die Anwendung von ADI-Werten (siehe „Dürfen als Vergleichswerte die ADI-Werte herangezogen werden?“) sollte bei Kindern eine besonders genaue Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen, auch angesichts der Problematik einer möglichen Präexposition gegenüber vergleichbaren Gefahrstoffen. Insbesondere, da bei den „Lolli“-Abstrichtupfern Stoffe nachgewiesen wurden, welche nachweislich bioakkumulative Wirkung besitzen und sich damit im menschlichen Organismus anreichern können.

Sind die „Lolli“-Abstrichtupfer nicht unbedenklich, weil (Klein-)Kinder eh Kontakt mit Alltagschemikalien haben?

Nein. Nicht ohne Grund befinden sich auf allen Medikamenten, Reinigungsmitteln etc. die Sicherheitshinweise, dass das entsprechende Produkt außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahrt werden muss.

Handelt es sich nicht um ein Scheinproblem, da die Kinder die „Lolli“-PCR-Pooltests doch bestens vertragen?

Nein. Es liegen zahlreiche Zeugenberichte vor, wonach die gelutschten „Lolli“-Abstrichtupfer nicht geschmacksneutral sind, wie der Hersteller behauptet. Des Weiteren traten nach deren Gebrauch gesundheitliche Probleme auf. Es liegt offensichtlich eine Korrelation zwischen Testanwendung und gesundheitlicher Beeinträchtigung vor. Es wäre die Pflicht des Inverkehrbringers gewesen, Studien zur Unbedenklichkeit durchzuführen; und es wäre die Pflicht der Marktaufsichtsbehörde, diese Studien vom Hersteller anzufordern und zu kommunizieren.

 

Die Gefährdung der Gesundheit unserer Kinder wiegt umso schwerer, als es sich bei der anlasslosen Massentestung gesunder Kinder um eine epidemiologisch sinnlose, also vermeidbare Exposition handelt, die keiner Risiko-Nutzen-Abwägung standhält.

Gilt das Vorsorgeprinzip?

Ja. „Das Vorsorgeprinzip ist ein Prinzip der Umwelt- und Gesundheitspolitik; danach sollen die denkbaren Belastungen bzw. Schäden für die Umwelt bzw. die menschliche Gesundheit im Voraus (trotz unvollständiger Wissensbasis) vermieden oder weitestgehend verringert werden.“ (Wikipedia) Es gilt die Beweislastumkehr, wonach nicht der Verbraucher die Bedenklichkeit eines potenziell schädlichen Stoffes, sondern der Hersteller dessen Unbedenklichkeit nachweisen muss. In der Praxis hat dieses Prinzip einen breiten Anwendungsbereich, es erstreckt sich auf die Verbraucherpolitik, die Rechtsvorschriften der Europäischen Union (EU) für Lebensmittel (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=LEGISSUM:f80501) und den Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen.

 

„In den meisten Fällen müssen die europäischen Verbraucher und Verbraucherverbände, die mit einem vermarkteten Verfahren oder Produkt verbundenen Gefahren nachweisen, wobei dies nicht für Arzneimittel, Schädlingsbekämpfungsmittel oder Lebensmittelzusätze gilt. Allerdings kann im Falle einer auf das Vorsorgeprinzip gestützten Maßnahme vom Erzeuger, Hersteller oder Einführer der Nachweis verlangt werden, dass keine Gefahr besteht.“ (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=LEGISSUM%3Al32042)

Greifen nur Medizinproduktrecht-Gesetze?

Nein. Insbesondere im Fall von durch Kinder zu lutschenden Abstrichtupfern greifen deutlich mehr Gesetze und Verordnungen als nur das Medizinproduktrecht. In Betracht kommen durch die Anwendung in der Mundhöhle und das damit verbundene Schlucken von kontaminiertem Speichel:

 

Dürfen als Vergleichswerte die MAK-Werte herangezogen werden?

Nein. Bei den MAK-Werten handelt es sich um die Maximale Arbeitsplatzkonzentration. Diese gibt die zulässige Konzentration eines Stoffes am Arbeitsplatz an. Bei den so festgesetzten Werten handelt es sich um einen Kompromiss bei der Abwägung zwischen möglichen Gesundheitsschäden und den Risiken und Kosten bei der Produktion. MAK-Werte stellen keine Konstanten dar, mit denen das Eintreten oder Ausbleiben von Wirkungen bei längeren oder kürzeren Einwirkungszeiten bestimmt werden kann. Es kommt zu Anpassungen der entsprechenden Werte, die sich aus dem technischen Fortschritt ergeben (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1002/9783527694983.ch1).

Daher kann bzw. darf im Kontext von Kindern zu deren gesundheitlichem Schutz nicht mit MAK-Werten argumentiert werden. Nicht zuletzt gelten diese MAK-Werte aus gutem Grund auch nicht während der Schwangerschaft. Dies ist insbesondere zu berücksichtigen, da die „Lolli“-PCR-Pooltests bei Kindern ab einem Jahr zur Anwendung kommen.

Dürfen als Vergleichswerte die ADI-Werte herangezogen werden?

Nein. Unter einem ADI-Wert versteht man die tägliche zugelassene Aufnahmemenge (Acceptable Daily Intake). Sie stellt die Menge einer Substanz dar, z.B. (Lebensmittelzusatzstoff, Pestizid), welche bei lebenslanger täglicher Einnahme als unbedenklich betrachtet wird. Eine Stellungnahme des BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) aus dem Jahr 2003 mit dem Titel „Kinder in der gesundheitlichen Bewertung stofflicher Risiken“ legt nahe, dass „Kinder als besonders empfindlich gegenüber potentiell gesundheitsschädlichen Stoffen gelten. Dies muss bei der Bewertung des gesundheitlichen Risikos von Wirkstoffen in Schädlingsbekämpfungs- und Pflanzenschutzmitteln sowie bei der Festlegung von Grenzwerten bedacht werden.“ (https://www.bfr.bund.de/cm/343/kinder_in_der_gesundheitlichen_bewertung_stofflicher_risiken.pdf)

 

Diese Stellungnahme des BfR legt nahe, dass die für Erwachsene berechneten ADI-Werte nicht auf Kinder übertragbar sind.

 

Des Weiteren werden aus den ADI-Werten unter Berücksichtigung weiterer Expositionswege für einzelne Substanzen, die aus Bedarfsgegenständen mit Lebensmittelkontakt in diese hinein migrieren können, die spezifischen Migrationsgrenzwerte (englisch Specific Migration Limits) berechnet. (https://mobil.bfr.bund.de/cm/343/regelungen-im-bereich-der-lebensmittelkontaktmaterialien.pdf)

 

Das zeigt, dass nicht einfach mit ADI-Werten hantiert werden kann, da die weiteren Expositionswege unbekannt sind. Z.B. kommen Aldehyde auch in Kosmetika etc. vor, so dass die Gesamtexposition ins Verhältnis der ADI-Werte gesetzt werden müsste, was nicht möglich ist.

Stellt Formaldehyd ein Problem dar?

Ja. Formaldehyd schädigt das DNA-Reparatursystem im tiefen Dosisbereich und wird als ein bisher vernachlässigtes Risiko für Hautkrebs dargestellt (Wartberger, 2013). Bei den Lollitests haben wir es mit Kindern zu tun, die durch diese Tests einer zusätzlichen – und unnötigen – Exposition ausgesetzt werden. Wäre keine radioaktive Bestrahlung zur Sterilisation der durch Lutschen zweckentfremdeten Abstrichtupfer zum Einsatz gekommen, würde das Aldehyd-Problem vermutlich nicht bestehen. Denn wie z.B. Selmi et al. (2008) gezeigt haben, stellen Aldehyde Abbauprodukte von bestrahltem Polyamid (Nylon) dar.

 

Wartberger, M., & Simone, R. (2013). Genotoxizität von Formaldehyd: Hemmung der DNA-Reparatur (Doctoral dissertation, University of Zurich).

 

Selmi (2008) identifizierte in „Charakterisierung von Radiolyseprodukten in gammabestrahlten Polyamiden Thermodesorption-Gaschromatographie Massenspekroskopie“ (2008) Radiolyseprodukte nach Gammabestrahlung in den untersuchten Polyamiden, zu denen verschiedene chemische Klassen (zum Beispiel Kohlenwasserstoffe, Aldehyde, Ketone, Säuren, Amide, Lactone, Pyridone bzw. Pyrrolidinone) gehören. Diese Verbindungen können unangenehme Gerüche und Geschmäcke, sogenannte Off-Flavour, sowohl in den Folien als auch im Füllgut verursachen. Sogar dieselbe Verbindung verursacht, abhängig von ihrer Konzentration, unterschiedliche Off-Flavour.

Stellt Mikroplastik ein Problem dar?

Ja. Auch wenn Mikroplastik z. B. beim Waschen von Fleece-Textilien entsteht, kennen wir auch die Gefährdung der Umwelt und der menschlichen Gesundheit durch Mikroplastik. Plastikstücke, die eine Größe kleiner als 5 mm aufweisen, werden als Mikroplastik bezeichnet (https://www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/was-ist-mikroplastik). Noch kleinere Kunststoffpartikel, in der Größe zwischen 1 und max. 1000 nm, werden als Nanoplastik bezeichnet (https://microplastics.springeropen.com/articles/10.1186/s43591-021-00005-z). In der öffentlichen Wahrnehmung hat das Thema Mikroplastik in den vergangenen Jahren zunehmend Bedeutung erlangt. Die schädigende Wirkung auf menschliche und tierische Zellen des größeren Mikroplastiks ist bereits deutlich besser erforscht als die vielfältigen Auswirkungen des kleineren Nanoplastiks. Die kleinen Kunststoffpartikel können biologische Barrieren durchbrechen und sind mittlerweile im Blut und der Plazenta nachweisbar. Daher kommen vermutlich viele Kinder mittlerweile mit einer Vorbelastung zur Welt. (https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/neue-studie-mikroplastik-kann-zellen-schaedigen/). Die Wirkung von Plastikpartikeln in Nanogröße ist sehr schwer einzuschätzen, da Plastikpartikel in dieser Größe andere Eigenschaften besitzen. So können sie möglicherweise mit Zellhüllen, Zellinnerem oder biologischen Molekülen und dem Erbgut interagieren. Des Weiteren können sie sich durch Bioakkumulation in lebenden Organismen anreichern (https://www.igb-berlin.de/news/nanoplastik-kann-parasitaere-infektionen-beeinflussen).

 

Daher wäre alleine aufgrund dieser Betrachtungsweise eine ausführliche Risiko-Nutzen-Analyse für das Lutschen der Abstrichtupfer durch Kinder zwingend erforderlich.