Achtsame Sprache
Wir finden und akzeptieren immer mehr Aggression und Gewalt in unserer Sprache, auf sozialen Plattformen. Wir tolerieren diese Form von Gewalt und damit, dass Menschen verletzt, traurig und wütend sind. Gerade jetzt, wo es schon so vielen schlecht geht, hacken wir verbal aufeinander ein. Mir bisher friedfertig und respektvoll erscheinende Mitmenschen wünschen sich gegenseitig, öffentlich und unter Zustimmungsbekundungen den Tod, alles Schlechte, bedrohen sich und werten sich ab. Dabei ist mir vollkommen egal, ob wir Ungeimpfte als todbringende Sozialschädlinge oder 2G-Befürworter als naziähnliche Fanatiker titulieren. Beides ist abartig und mir vollkommen unverständlich. Beides wird keinem der Menschen dieser Gruppe gerecht und ich bin schockiert über die Gleichgültigkeit dieses Sprachgebrauchs.
Ich kann einfach kaum fassen, dass wir gendern, so sehr auf politisch korrekte Ausdrucksweisen achten, um Menschen differenziert zu beschreiben, nicht auszugrenzen. Und uns dann gegenseitig so angehen.
Wir sprechen von „Querdenkern“, „Coronaleugnern“ und „Impfgegnern“ und das im Übrigen sogar ungegendert, wo uns heutzutage ein differenzierter Sprachgebrauch unbedingt nahegelegt wird. Politisch korrekte Sprache hat seinen Sinn, auch wenn ich mich selbst zugegebenermaßen damit nicht immer leicht tue. Aber es macht einen Unterschied, ob man die „richtige Form“ einmal vergisst, oder absichtlich und immer wieder schlicht pauschalisiert und bestimmte Eigenschaften wie rechtes Gedankengut noch zusätzlich zuschreibt.
Denn die meisten Maßnahmenkritiker sind nicht aus der Querdenken-Bewegung, sie leugnen kein Corona und selbst die Querdenken-Bewegung ist durch Studien belegt eine heterogene Gruppe, die auch Menschen beinhaltet, die eher aus dem anthroposophischen, alternativen Spektrum kommen, die zu ganzheitlichem und esoterischem Denken neigen und wahrscheinlich eher die Grünen gewählt haben (z.B. https://www.deutschlandfunk.de/studie-zur-querdenker-bewegung-kommt-zum-teil-von-links-100.html).
„Impfgegner“ sind oft gar keine solchen, sondern bis auf Corona vollständig geimpft, sind dann also eher „Corona-Impf-Skeptiker“, die sich übrigens nach Studien auch nicht verblödet von Fakten fernhalten, sondern „hoch informiert, gesellschaftlich hochkompetent und wissenschaftlich gebildet“ sind (https://www.schildverlag.de/2021/08/07/mit-studie-covid-impfskeptiker-sind-hoch-informiert-gesellschaftlich-hochkompetent-und-wissenschaftlich-gebildet/).
Nicht jeder, der sich nicht kritisch zu den Maßnahmen äußert, ist andererseits „blind gehorsam“ und ein „Verfechter der Regierungspolitik“, der den Druck auf Ungeimpfte beklatscht, 2G feiert.
Kann man nicht auch die Maßnahmen kritisieren, andererseits blind gehorsam sein? Kann man nicht auch 2G befürworten und trotzdem nicht alles gutheißen, was die Regierung gerade an Maßnahmen erlässt? Und bestehen wir als Menschen tatsächlich nur noch aus diesem Thema und bewerten uns rein hierdurch? Ist überspitzt formuliert und zur Verdeutlichung natürlich auch wieder pauschalisiert die ungeimpfte Krankenpflegerin, die seit zwei Jahren unterbezahlt über ihre Grenzen anderen Menschen hilft ein Sozialschädling, während der gut verdienende und geimpfte Banker im Homeoffice ein solidarischer Wohlmensch ist? Leider ist das aus meiner Sicht eben nicht so einfach. Wir können uns nicht ein Kriterium heraussuchen und den Menschen in die entsprechende Schublade stecken, auch sprachlich nicht.
Ich fühle mich als Mensch weder durch meinen Corona- (noch sonstigen) Impf- oder Genesenenstatus noch durch meine Einstellung zu den Maßnahmen charakteristisch beschrieben und lehne es ab, als Nicht-, Einfach-, Zweifach- oder Booster-Geimpfte beschrieben zu werden. Und ich finde es nicht nur schrecklich, dass wir Menschen hiernach einteilen, sondern es macht mir schlicht enorm Angst. Ich hatte schon vor Monaten wirklich Sorge vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen und empfinde die gesellschaftliche Situation von beiden Seiten als immer unerträglicher. Diese Spaltung macht mich verzweifelt und die werden wir nicht durch Impfungen wieder beseitigen können. Bitte versuchen wir die Gräben so flach wie möglich zu halten, indem wir von mir aus das Schlechteste vom anderen denken, aber achtsam in unserer Sprache bleiben. Ich glaube nicht, dass der Schritt von der sprachlichen und psychischen Gewalt in die physische Gewalt ein so großer ist.
Differenzierte Sprache hat eben einen Sinn, weil sie uns dazu anregt auch tatsächlich zu differenzieren. Und das tun wir schlicht nicht mehr.
Wenn wir anderen pauschalisiert – oft nicht einmal zutreffende – Eigenschaften unterstellen verstehen wollen, werden wir auch die falschen Schlüsse ziehen. Dann wird es nichts nutzen, Corona-Impfskeptikern Artikel der Tageszeitung zuzusenden, dann müssen wir respektvoll diskutieren.
Hören wir einander zu, ohne gleich zu werten, konzentrieren wir uns darauf, was gut läuft und uns eint und seien wir geduldig, respektvoll und empathisch mit uns und anderen.
Sprechen wir achtsam oder schweigen, wenn wir das nicht hinbekommen, aber verletzen uns nicht – weder psychisch noch physisch. Das will doch eigentlich keiner.
Von Janina Seebach