In die falsche Schublade gesteckt
Von Nina Seebach. Es ist nicht so, dass ich fröhlich und unbeschwert bin in letzter Zeit, dass ich nicht auch (hart) kritisiert wurde. Aber so tief getroffen und verzweifelt war ich – zumindest seit dem Wegfall der Maskenpflicht für meinen Sohn im Unterricht – auch nicht mehr. Es distanzieren sich Freunde und ich werde als rechts wahrgenommen, wurde mir gesagt. Zuerst wollte ich einfach meine Aussage tätigen, die ich oft einleitend auf Demos sage: „Ich lehne jegliche Radikalität ab und bin nicht rechts“. Aber ich bin ja kritikfähig und hinterfrage und äußere mich schließlich auch nicht derart undifferenziert zu Belangen der Pandemie.
Also habe ich beschlossen, mich kritisch mit mir und meiner neuen „Rechtsbezeichnung“ auseinanderzusetzen, statt sie schlicht zu negieren. Die nachfolgenden Zitate stammen aus der Bundeszentrale für politische Bildung (http://m.bpb.de/…/pocket-politik/16547/rechts-links-schema).
„Politische Einstellungen werden häufig vergröbernd als rechts oder links bezeichnet. Die Unterscheidung soll auf die Sitzordnung in der französischen Abgeordnetenkammer von 1814 zurückgehen. Dort saßen – vom Präsidenten aus gesehen – auf der rechten Seite diejenigen Parteien, die für den Erhalt der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse eintraten. Auf der linken Seite saßen diejenigen Parteien, die eine Änderung der politischen und sozialen Verhältnisse anstrebten.“
Und wer glaubt, dass ich seit Monaten für den Erhalt der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse eintrete, der hat wohl keinen meiner Beiträge wirklich gelesen, ich setze mich ausdrücklich ein für eine Änderung der Gesellschaft und der aktuellen politischen und sozialen Verhältnisse. Zudem habe ich bisher nie „rechter“ gewählt als grün. Ich habe immer behauptet, nicht „rechter“ als rot und dabei falsch im Kopf gehabt, dass die Grünen rechts von der SPD sitzen, obwohl ich die Grünen nie als „rechter“ wahrgenommen habe. Bei den letzten Bundestagswahlen hat man übrigens nichts „linker“ wählen können als ich.
„Die Meinungsforscherin Noelle-Neumann hat beschrieben, was Menschen unter rechten und was sie unter linken Werten verstehen. Als linke Werte gelten danach: Gleichheit, Gerechtigkeit, Nähe, Wärme, Formlosigkeit, das „Du“, Spontaneität, das Internationale und Kosmopolitische. Ihnen stehen als rechte Werte gegenüber: Betonung der Unterschiede, Autorität, Distanz, geregelte Umgangsformen, das „Sie“, Disziplin, das Nationale.“Und wieder frage ich mich entsetzt, ob ich so missverständlich geschrieben habe und noch viel mehr, warum gerade Freunde, die mich kennen sollten, mich und meine Werte so falsch einschätzen können. Ich bin so gerechtigkeitsliebend, dass ich das Unrecht, die Rechtsprechung und Ungleichbehandlung nicht mehr verstehen kann (Androhung von Sorgerechtsentzug maßnahmenkritischer Eltern,…), fordere auf, die Bedeutung von Nähe und Wärme nicht außer Acht zu lassen, statt Autorität, Gehorsam und Distanz zu leben. Ich bin spontan, schnell beim „Du“, schäme mich für Deutschland und habe mich nie als „Deutsche“, sondern in Deutschland Geborene gefühlt und schiele aktuell bewundernd zu Nationen wie Frankreich
„Freiheit verstehen Linke zuerst als Freiheit von Not. Der Staat soll sich um soziale Sicherheit und Geborgenheit kümmern. Rechte verstehen Freiheit umgekehrt zuerst als Freiheit von staatlicher Gängelung und staatlichem Zwang. Sie schätzen Anstrengung, Risikobereitschaft, Eigenaktivität. Das zentrale linke Anliegen ist Solidarität mit den Schwachen.
“Und auch hier will ich verdeutlichen, dass dies genau der Grund war und ist, überhaupt den Mund aufzumachen. Ich konnte die Ungerechtigkeit und Not der Kinder nicht ertragen, dass sich niemand klar eingesetzt hat, dass wir sie als geringer Betroffene mehr Maßnahmen zu ertragen hatten als Erwachsene. Dass wir Maskenbefreite ohne Toleranz ausstoßen und in mir bekannten Fällen körperlich angehen, wenn sie maskenlos einkaufen gehen, dass wir ihnen gerade jetzt keinerlei Aufgehobensein und Geborgenheit bieten. Dass wir Andersdenkende einfach als rechts bezeichnen, statt ihnen zuzuhören und sie abwerten, dass weniger betuchten Ungeimpften einen Restaurantbesuch nicht vergönnen, da sie Tests selbst zahlen sollen.
Und ja, beim Thema Freiheit kann ich mich als ehrlicher und selbstkritischer Mensch auch erstmals nicht von einem „rechten Wert“ freisprechen, da ich mich auch gegen Gängelung und staatlichen Zwang wehre. Aber unter all den linken Werten und wenn ich mich als Bürgerin der Mitte verstehe ist das in Ordnung und macht mich nicht „rechts“.
Zumal es sicher auch mit meiner Arbeit als Psychiaterin zu tun hat, in der ich mich sehr kritisch mit dem Thema Zwangsmaßnahmen auseinandersetze. Für alle also, die mich gerne in Schubladen stecken wollen, bin ich nicht „…extrem“, da ich Gewalt und Zwang und menschenverachtendes Verhalten in jeglicher Form ablehne. Und auch die rechte Schublade konnte ich hier widerlegen. Es bleiben ja noch genug Schubladen übrig, die ich irgendwie ertragen kann: linke, Spinnerin und Idealistin.
Ich selbst sehe mich hierbei am ehesten als „hoffnungslose Idealistin“, wenn ich mich in irgendeine Schublade pressen müsste: „Person, die selbstlos, dabei aber auch die Wirklichkeit etwas außer Acht lassend, nach der Verwirklichung bestimmter Ideale strebt.“Ich würde so gerne meinen Mund halten und wieder still, angepasst und unauffällig mein Leben leben. Aber noch schlechter als mit all den Schubladen, in die ich gepresst werde, und der Kritik, mit der ich ständig umzugehen habe, könnte ich damit umgehen, einfach still und passiv den mir unerträglichen Zuständen zuzusehen (v.a. Umgang mit Kindern, Andersdenkenden, sozial Schwachen und individuellen medizinischen Entscheidungen).
Dass man unabsichtlich auch einmal Aussagen teilt, die Menschen rechterer Gesinnung äußern, macht mich nicht rechts. Und ich frage mich, warum der Widerstand in Deutschland so rechts ist oder dargestellt wird. Wenn schon ich deshalb rechts bin, wie schnell ist man denn dann in der rechten Ecke? Und wo sind die Parteien, die ich gewählt habe, mit einer kritischen Diskussion, dass wir diese Kritik widerstandslos als rechtes Thema belassen? Ich bin sehr froh, dass zumindest auch die freie Linke auf Demonstrationen vertreten ist und „Die Linke“ inzwischen teilweise Kritik übt.
So kritisch ich mit mir bin und so hohe moralische Ansprüche ich an mich stelle, so kritisch bin ich eben auch mit der Gesellschaft. Dabei teile ich die Kritik der französischen Antifa. Auch wenn ich – um die nächste Schublade zu verschließen – keine Anhängerin der Antifa bin und radikale Tendenzen von links genauso ablehne wie die von rechts. Zudem unterstütze ich nicht die unten geäußerten Inhalte, außer der Kritik an der Deutschen Antifa (stellvertretend auch für die “Rechtsmachung“ der Maßnahmenkritiker durch die Enthaltung der anderen Parteien).
„Wir dürfen und wollen die Querdenker-Menschen nicht angreifen […]. Keine echte Antifa, die diesen Namen verdient, sollte eine Maske tragen oder sich impfen lassen. Eine Antifa ist Anti-System, Autonome, für Menschen und sie kämpft für die Freiheit.“Prangert mich an für meine Meinung, verurteilt mich und schließt mich aus, wenn ihr das an mir nicht mögt und es für euch das ist, was mich zu mir macht. Aber bezeichnet mich nicht als rechts, denn das bin ich schlicht nicht. Ich mag viele Fehler haben, aber ich stecke niemanden in Schubladen und meine Freunde suche ich nicht danach aus, wen sie wählen, wie sie zu Maßnahmen stehen, ob sie geimpft sind, sondern weil sie schlicht sie sind.
Ich muss andererseits mit dem Schmerz umgehen, dass andere mich nicht mehr mögen und sich abwenden, aber auch wieder sehen, dass ich nicht ausgeschlossen und ungeliebt bin, sondern mich andere Menschen lieben und aufnehmen und mir – wie ich gelernt habe – meine linken Werte nach Nähe und Geborgenheit geben.Menschen, die nicht auf Facebook sind, die aber eine halbe Nacht mit mir genau das singen, was ich mir wünsche, mit mir musizieren, diskutieren und mir gerade jetzt Unterstützung anbieten und allein in den letzten Tagen, als mir alles so nahe ging, so liebe und treffende Worte schrieben: „Es tut weh, wenn sich viele abwenden. Aber ich habe so viele tolle Menschen, inklusive dir, kennengelernt und das tut so gut und heilt Vieles wieder.“ oder:„Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich sehr mutig und großartig finde. Ein Hobby von mir ist: helfen. Falls du mich brauchst, melde dich bitte! Ganz liebe Umarmung.“
Danke für alle, die da sind, die kommen und bleiben, die mich mögen, wie ich bin.Ich habe euch lieb, auf Facebook oder Telegram, reich oder arm, jung oder alt, hetero- oder homosexuell, divers, ungläubig oder wie auch immer gläubig, laut oder still, geimpft oder ungeimpft wo auch immer ihr geboren seid gesund oder krank (mit was auch immer)
Foto Basti